Den Ärger verrauchen lassen

14. März | Mobilität: TÜV NORD-Psychologe und Verkehrsexperte Christian Müller weiß, was die erhitzten Gemüter beim Autofahren abkühlt.

Atemübungen und psychologische Gedankenspiele helfen, beim Autofahren die Ruhe zu bewahren.
Einer überholt rechts, der andere nimmt die Vorfahrt, und dann verschläft der Vordermann auch noch die grüne Ampel: Beim Autofahren findet man immer einen Anlass, sich über die Mitmenschen aufzuregen. Doch Ärger bringt nichts – außer einer erhöhten Unfallgefahr. Da gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. TÜV NORD-Psychologe und Verkehrsexperte Christian Müller weiß, was die erhitzten Gemüter abkühlt.

Es belastet das Herz, verdirbt die Laune und gibt kein schönes Bild ab: Wer seinem Ärger am Steuer freien Lauf lässt, tut sich nichts Gutes. Die Gefahr eines Unfalls steigt sogar schon bei vergleichsweise harmlosen Ausbrüchen, wie eine kanadische Studie zeigte. Unter 13.000 Befragten waren auch jene häufiger in Unfälle verwickelt, die beim Autofahren lediglich fluchten oder wild gestikulierten.

„Aggression ist ein Unfallrisiko“, warnt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Eine Umfrage in dessen Auftrag ergab, dass fast jeder zweite Erwachsene bei Ärger aufs Gaspedal drückt. Dichtes Auffahren und überhöhte Geschwindigkeit sind die Folgen – Delikte, die laut Unfallforschung der Versicherer in Deutschland an jedem dritten Pkw-Unfalltoten schuld sind. In den USA soll aggressives Fahren sogar für zwei Drittel aller tödlichen Unfälle verantwortlich sein.
Den Rasern und Dränglern drohen Bußgelder und Punkte in Flensburg bis hin zu einem Fahrverbot. Die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) prüft daraufhin unter anderem, ob ein Hang zur Aggression im Straßenverkehr vorliegt. Spätestens dann sei es an Zeit, über das eigene Verhalten am Steuer nachzudenken, mahnt Christian Müller von TÜV NORD: „Auch wer eigentlich kein aggressiver Mensch ist, kann sich einen aggressiven Fahrstil angewöhnt haben.“

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt: Entspricht die eigene Fahrweise eigentlich der Straßenverkehrsordnung? ‚Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht‘, heißt es dort in Paragraf 1. „Dieser Grundsatz gilt natürlich auch dann, wenn der Vordermann gegen die Verkehrsregeln verstößt“, sagt der Psychologe Christian Müller. Schließlich habe jeder mal einen schlechten Tag. „Großzügig über die Fehler von anderen hinwegzusehen, beweist Charakter.“

Selbst auf eine offenkundige Provokation sollte man nicht eingehen: „Augenkontakt und Gesten vermeiden, Abstand halten, den Vortritt lassen, niemanden zum Bremsen, Beschleunigen oder Ausweichen nötigen“, empfiehlt Müller. „Aggression ist ansteckend. Aber jeder kann frei entscheiden, ob er die Kette fortsetzen oder unterbrechen will.“

Nur wie wird man Wut und Ärger los, wenn sie bereits im Inneren kochen? Ein Team um den Aggressionsforscher Brad Bushman von der Ohio State University hat das untersucht. Menschen neigen demnach dazu, gedanklich um eine Provokation zu kreisen, und das halte den Groll aufrecht, stellten die Forschenden fest. Die Emotionen würden jedoch nachlassen, sobald man sie mit etwas Distanz betrachte. Bushman rät: „Stell dir vor, du beobachtest dich selbst aus der Ferne, und versuch deine Reaktion zu verstehen.“

Falls diese Selbsthilfemaßnahmen fehlschlagen, ist ein professionelles Stressmanagementtraining angeraten. Laut dem US-Verkehrsexperten Jerry Deffenbacher sind mehrere Verfahren gleichermaßen wirksam: Entspannungsmethoden, Verhaltenstraining und kognitive Verfahren, wie der beschriebene Perspektivwechsel. In einer experimentellen Studie lernten Verkehrsteilnehmer, die mit aggressiver Fahrweise aufgefallen waren, sich mit Atemübungen zu entspannen und Ärgernisse aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Dann trainierten sie die neuen Fertigkeiten, indem sie sich gedanklich in kritische Situationen versetzten und indem sie das Gelernte im Alltag anwendeten. Nach acht Sitzungen ärgerten sie sich seltener und weniger heftig. Der Effekt hielt auch noch ein Jahr später noch an. Allerdings mangelt es vielen Menschen im Straßenverkehr an der nötigen Motivation, um ihre Fahrweise zu hinterfragen. Der Gesetzgeber könnte leicht nachhelfen: mit verstärkten Zivilkontrollen, ans Einkommen gekoppelten höheren Bußgeldern und einem längeren Führerscheinentzug bei wiederholten Verkehrsdelikten. Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer hält außerdem ein Tempolimit für wirksam, weil es bei geringeren Geschwindigkeitsunterschieden zu weniger Konflikten käme. Auch der technische Fortschritt könne helfen, etwa intelligente Tempomaten, die ein dichtes Auffahren erschweren.

Doch bis Politik und Technik so weit sind, liegt es an uns, Rücksicht zu üben. Der Psychologe Christian Müller von TÜV NORD rät: bei Frust eine kleine Pause machen, durchatmen und bewegen, um Stress abzubauen. „Und sich darauf besinnen, was am wichtigsten ist: gesund am Ziel anzukommen.“

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